Reale Phasenverschiebung eines RL Hochpass

Erste Frage Aufrufe: 855     Aktiv: 30.01.2022 um 11:47

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Gegeben war eine Reihenschaltung aus ohmschen Widerstand und einer Spule. Angelegt ist eine Wechselspannung, dessen Frequenz wir anpassen können. 
Zu untersuchen war dann das Verhältnis von der Spannung an der Spule verglichen zur angelegten. Mein Problem liegt bei der Phasenverschiebung. 
Zu erwarten ist ja, dass die Phasenverschiebung bei 90 Grad startet und mit höherer Frequenz gegen 0 geht, sowie bei der Grenzfrequenz einen Wert von 45 Grad annimmt. 
Die gegebenen Durchführungswerte folgen jedoch einem komplett anderem Schema. Für niedrigere Frequenzen startet delta Phi bei 0 und steigt bis zur Grenzfrequenz auf 45 Grad und sinkt danach wieder. Was ich erwartet hätte wäre vielleicht, dass aufgrund von Restinduktivität der Kabel der Graf schneller sinken würde oder andere kleinere Abweichungen, während das Gesamtbild gleich bleibt. Wie kann man das erklären?

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Nettes Experiment, hier sieht man das Ideal und Realität doch manchmal stark voneinander abweichen.

In deiner Simulation siehst du den Phasengang des idealen RL-Hochpasses. Die Formel für den Phasengang ist

\(\varphi(\omega)=\arctan \left(\dfrac{R}{\omega L}\right)\)         mit     \(\omega=2\pi\cdot f\)

Du erkennst hier die relevanten Punkte deiner Kurve:

\(\omega\to 0~~~~~\varphi\to 90°\)
\(\omega\to \infty~~~\varphi\to 0°\)

Jetzt ist deine Spule aber höchstwahrscheinlich nicht ideal, sondern es gibt parasitäre Einflüsse. Da wären zum einen parasitäre Kapazitäten zwischen den Wicklungen, denn auch der Draht kann Ladung speichern und ist damit ein sehr kleiner Kondensator. Viel mehr ins Gewicht spielt aber ein serieller Widerstand.
Dieser kommt von dem ohmschen Widerstand deines Spulendrahtes. Den kannst du ja mal mit einem Multimeter messen. Hier siehst du auch nochmal das Ersatzschaltbild einer realen Induktivität, also unter Einbeziehung der parasitären Effekte.



Wir gehen jetzt mal davon aus, dass nur der Widerstand deiner Wicklung eine Rolle spielt und der Rest vernachlässigt werden kann. Auch wenn der Widerstand recht klein ist, hat er Folgen für den Phasengang. Ich leite dir im Folgenden die Formel für den Phasengang her. Wenn du von komplexer Wechselstromrechnung oder Systemtheorie keine Ahnung hast, kannst du auch getrost zum Ergebnis weiter unten springen. Hier aber die Herleitung:

Der ideale Hochpass besteht aus der Reihenschaltung eines ohmschen Widerstands \(R\) und einer Induktivität mit Impedanz \(jX_L=j\omega L\). Die Eingangsspannung nennen wir \(\underline{U}_1\), die Ausgangsspannung (also die Spannung über der Spule) \(\underline{U}_2\).

Wir nehmen an, dass die Spule nicht ideal ist, und ein weiterer ohmscher Widerstand \(R_{L}\) in Reihe zur Spule liegt. Die Impedanz der Spule ändert sich damit zu \(\underline{Z}=R_L+jX_L\). Die Ausgangsspannung \(\underline{U}_2\) ist die Spannung über der Impedanz \(\underline{Z}\).

Die Übertragungsfunktion dieser Schaltung ist dann:

\(\underline{G}(\omega)=\dfrac{\underline{U}_2}{\underline{U}_1}=\dfrac{\underline{Z}}{R+\underline{Z}}=\dfrac{R_L+j\omega L}{R+R_L+j\omega L}\)

Die Übertragungsfunktion gilt es jetzt auf Real- und Imaginärteil aufzuteilen, denn das brauchen wir für den Phasengang.

\(\underline{G}(\omega)=\dfrac{(R_L+j\omega L)(R+R_L-j\omega L)}{(R+R_L+j\omega L)(R+R_L-j\omega L)}=\dfrac{RR_L+R_L^2+\omega^2L^2+j\omega LR}{(R+R_L)^2+\omega^2L^2}=\dfrac{RR_L+R_L^2+\omega^2L^2}{(R+R_L)^2+\omega^2L^2}+j\dfrac{\omega LR}{(R+R_L)^2+\omega^2L^2}\)

Damit bekommen wir

\(\mathrm{Re}(\underline{G}(\omega))=\dfrac{R_L(R+R_L)+\omega^2L^2}{(R+R_L)^2+\omega^2L^2}\)
\(\mathrm{Im}(\underline{G}(\omega))=\dfrac{\omega RL}{(R+R_L)^2+\omega^2L^2}\)

(kann man bestimmt noch intelligent vereinfachen, ist aber egal weil es sich im nächsten Schritt eh kürzt)

Der Phasengang \(\varphi(\omega)\) ist per Definition

\(\varphi(\omega)=\arctan\left(\dfrac{\mathrm{Im(\underline{G}(\omega))}}{\mathrm{Re(\underline{G}(\omega))}}\right)\)

Setzen wir Real- und Imaginärteil von oben ein erhalten wir

\(\varphi(\omega)=\arctan\left(\dfrac{\omega RL}{R_L(R+R_L)+\omega^2L^2}\right)\)

Zur Kontrolle können wir ja mal \(R_L=0\Omega\) einsetzen und schauen, ob wir wieder auf die Formel für den idealen Hochpass kommen:

\(\varphi(\omega)=\arctan\left(\dfrac{\omega RL}{0\cdot(R+0)+\omega^2L^2}\right)=\arctan\left(\dfrac{\omega RL}{\omega^2L^2}\right)=\arctan\left(\dfrac{R}{\omega L}\right)~~~~~~~~\Rightarrow\) Stimmt mit der Formel oben überein

Die neue Formel für den Phasengang kannst du ja jetzt mal plotten und verschieden Werte einsetzen. Du hast leider in deiner Aufgabenstellung keine Werte dazu geschrieben, deswegen kann ich jetzt nicht ausprobieren ob meine Annahmen stimme und der Effekt so groß ist wie er sich bei dir zeigt. Was man aber an der Formel ablesen kann:

Für \(\omega\to 0\) gilt 

\(\varphi(\omega\to 0)=\arctan(0)=0°\)

Dies stimmt mit deiner Beobachtung über ein. Auch die restliche Kurvenform passt zu deiner Beobachtung. Ohne Werte kann man aber nicht sehen, wie gut sie wirklich passt oder ob es noch andere Einflüsse gibt. Insgesamt merkst du hier aber: Ein kleiner Widerstand hat hier eine große Wirkung, der Phasengang ändert sich durch ihn drastisch. Simulier das ganze mal mit deinen konkreten Werten und vergleiche die Kurve mit deinen Messdaten. Vielleicht passt das ja, dann wäre die Erklärung gefunden. Andere Einflüsse, wie die Kapazität, deine Messleitungen, oder allgemein die Belastung der Schaltung durch die Messung könnten weitere Abweichungen erklären. Deine Messdaten sehen auch irgendwie verdächtig symmetrisch zur Simulation aus, als gäbe es vielleicht nur einen Messfehler. Ohne Aufbau und Werte kann ich aber dazu nichts sagen. Probier einfach mal ein bisschen herum und schau ob der Widerstand die Erklärung ist.

Ich hab dir hier mal den Plot gebaut, da kannst du deine Werte testweise einsetzen und auf Übereinstimmung prüfen.
https://www.desmos.com/calculator/l1rqgdb7v0
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